Eine Games-Weihnachtsgeschichte

Noch ein paar Tage und wir feiern wieder den Geburtstag eines gewissen H. Christ. Weihnachten hat sich jedoch längst zu einem Kommerzbastard entwickelt. Kaufen, schenken, konsumieren – nicht selten Games. Doch hinter jedem Geschenk steckt eine persönliche Geschichte.

Die Adventszeit und der darin gipfelnde Weihnachtsexzess sind der blanke Horror. Die Materialschlacht, die jedes Jahr vonstattengeht, erzeugt bei mir einen kaum zu kontrollierenden Brechreiz. Weihnachtsmärkte, an denen Glühweinbrühe für läppische zehn Stutz konsumiert werden kann; Hausbeleuchtungen, die von elegant aber viel zu teuer bis zu White-Thrash-Epilepsie sämtliche Facetten der Augenkrebs-Typen abdecken und die Hochkonjunktur von Fondue Chinoise rauben mir den letzten Nerv. Meine Weihnachten beschränken sich darauf, dass ich mir ein paar Mailänderli in die Fresslucke schmeisse und dann John McClane zuschaue, wie er das Nakatomi Plaza in der besinnlichen Zeit in Schutt und Asche legt. Doch das war nicht immer so. Vor der Verwandlung zum Uber-Grinch hatte auch ich meine helle Freude im Dezember, insbesondere dann, wenn Games unter dem Tannenbaum lagen.

In den 90ern war ich ein Kind. Kein naives, das an den Nikolaus oder das Christkind glaubte, sondern ein aufgeklärter Bengel, der schon früh die Vorteile der Konsumgesellschaft erkannte und deshalb lange, verbindliche Wunschzettel schrieb. Dominiert wurden diese von Futter für meinen PC, Gameboy und Nintendo 64. Ich wurde mit Games überflutet, selber beschenkte ich meine Familie jährlich mit eigenhändig gezogenen Kerzen und unbrauchbaren Dingen aus Ton.

Am Heiligen Abend, der scheinheiliger nicht sein könnte – die gekünstelt freudigen Gesichter beim Erhalt eines bescheuerten Geschenkes sprechen Bände – kamen über die Jahre einige schöne Geschichten zusammen, an die ich mich gerne zurückerinnere. Viele davon haben tatsächlich mit Games zu tun, aber auch mit Menschen, die mir ans Herz gewachsen sind.

Games mit Tiefgang

Da war zum Beispiel meine Gotte, die mir damals Myst für den PC geschenkt hatte. Sie fragte mich, was ich gerne zu Weihnachten hätte und ich antwortete lapidar: „Ein Computerspiel.“ Ich hätte ja gerne etwas gewalttätiges erhalten, endete aber mit Myst. Das muss damals gerade eben rausgekommen sein, meine Gotte liess sich irgendwo beraten und hat es dann halt gekauft. Der Frust war gross. Erstens lief es nicht flüssig auf unserer Kiste und zweitens fand ich es damals unschaffbar schwer. Zugegeben, Myst ist für einen kleinen Jungen vielleicht tatsächlich einen Ticken zu kompliziert. Ich kam nicht mal auf den verfluchten Leuchtturm und habe das Spiel nach ein paar Tagen nicht mehr angerührt. Damals war ich frustriert, denn Games waren rar und wenn man eins in die Finger bekam, wollte man es für Monate zocken. Das war bei Myst nicht der Fall.

Vor rund einem Jahr habe ich das Spiel wieder für mich entdeckt und ich fand es grossartig. Die Rätsel waren plötzlich lösbar und die Atmosphäre hat mich richtiggehend in ihren Bann gezogen. Doch eigentlich ist es nicht das Spiel an und für sich, das mir nach so vielen Jahren doch noch Freude bereitete. Es ist die Tatsache, dass es mir meine Gotte damals in bester Absicht geschenkt hat. Es zauberte tatsächlich ein Lächeln auf mein Gesicht, ich schwelgte in Erinnerungen und hatte einen Glücksmoment, denn meine Gotte war eine gute Frau. Das Präteritum ist bewusst, denn meine Gotte ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben.

Eine andere schöne Geschichte ist diejenige meiner Oma. Es war 1996, der N64 lag unter dem Bäumchen. Mein Bruder und ich waren uns dessen zwar zwecks vorangehender Spionagearbeit schon einige Wochen im Voraus bewusst, dennoch stieg die Freude ins Unermessliche, als wir die Kiste mit den phallusbetonten Controllern endlich an die Glotze hängen durften. Grosser Hit damals: Super Mario 64 – 3D, ganz heisser Scheiss. Die Jungmannschaft zockte, die Altherrenbande sass auf den Sofas und trank Wein, so auch meine Oma. Tags darauf, als sie bereits wieder zuhause war, wollte sie sich telefonisch für den netten Abend bedanken. Sie war damals schon fortgeschrittenen Alters, jedoch noch topfit. Ersteres spiegelte sich allerdings darin wider, dass sie mit dem technischen Fortschritt nicht mehr mithalten konnte. Daher stellte sie mir diese eine, komisch anmutende Frage: „Ist dieser kleine Kerl noch immer im Fernsehen?“ Sie meinte damit den dicken, italienischen Klempner. Noch heute muss ich darüber schmunzeln. Es ist nicht tragisch, mit den neuesten technischen Errungenschaften nicht mitziehen zu können, Mario war für sie im Fernsehen wie sie es von Nachrichtensprechern gewohnt war. Dass wir ihn steuern war für sie wohl so absurd, dass sie auf den logischen Schluss kam, er müsse irgendwie leben und im TV wohnen. Skurril aber plausibel. Diese Frage hat sich in mein Gedächtnis gebrannt. Diese eine Weihnachten, der N64, Mario und meine Oma – untrennbar. Vor einigen Wochen hat meine Oma ein Stadium erreicht, in welchem sie nicht mehr ohne Hilfe leben kann. Die Zeit hat sie eingeholt, nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch in körperlicher und geistiger. Sie wäre heutzutage nicht mehr im Stande, überhaupt so einen Gedankengang zu formen und aus logischer Überlegung zum Schluss zu kommen, dass Mario ein Lebewesen im Fernseher sein muss. Es macht mich traurig aber letztendlich sind es die Erinnerungen, die ein dahinscheidendes Leben wertvoll machen, aus eigener wie auch aus fremder Perspektive. Und meine Oma hat mir mit dieser einen Frage ein unsterbliches Vermächtnis hinterlassen. Es werden Zeiten kommen, in denen sie nicht mehr unter uns weilt und mein Bruder wird mich fragen: „Weisst du noch damals, die Oma und der Mario?“ Und ich werde schmunzeln. Alles nur, wegen einem banalen Videospiel.

In der dritten Geschichte war meine Mutter involviert. Sie mag keine Games. Hat sie noch nie und wird sie auch nie. Trotzdem wünschte ich mir zu Weihnachten Duke Nukem 3D. Als kleiner Stöpsel war ich von dem blutrünstigen Cover begeistert. Ein blonder Hüne, der Aliens in die Rübe schiesst? Fantastisch! Meine Mutter hat sich köstlich aufgeregt. Nicht zu Unrecht, wohlgemerkt. Sie hat dann nur gemeint, der Duke käme nicht ins Haus. Klein Fabian war traurig und betrübt, denn ich wusste, dass dieser Zug abgefahren war. Wahrscheinlich würde es Socken oder sonst etwas Klischeehaftes geben. Der 24. Dezember kam und meine Mutter hatte mir etwas zwischen die anderen Geschenke gelegt. Mit schlimmsten Erwartungen riss ich das Paket auf und siehe da, tatsächlich kein Duke, dafür der erste Teil von Monkey Island. Damals wusste ich noch nicht einmal, dass Guybrush Threepwood ein mächtiger Pirat ist. Ein grollendes „Meh“ ging wie ein Raunen durch den Raum mit mir als Epizentrum. Ich dachte, ich hätte mich anständig verhalten, habe ich aber rückblickend nicht. Vor allem nicht darum, weil sich Monkey Island zu meinem Lieblingsspiel mauserte. Das ist heute noch so, ich kenne alle Rätsel und Dialoge auswendig und könnte vor allem Teil eins im Schlaf durchspielen.

Was ich lange nicht wusste: Meine Mutter hat sich die Mühe gemacht und sich ausführlich von mehreren Personen beraten lassen, bevor sie Bares gegen Monkey Island getauscht hat. Obwohl sie enorm gegen Computerspiele war, hat sie erkannt, dass mir diese viel bedeuten. Sie hat sich zu etwas durchgerungen, das sie selber nicht unterstützt, wollte mir jedoch eine Freude machen. Sie hat keine Ahnung von der Materie und hat sich dennoch reingehängt, um etwas Passendes für mich zu finden. Der Duke war von vornerein Tabu, mit Monkey Island hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen.

Personifizierte Digitalisierung

Jede und jeder hat seine eigenen Weihnachtsgeschichten. Myst, Mario und Monkey Island sind die meinigen. Es waren Games, die den Kontext lieferten, dahinter stecken jedoch Menschen. Auf die Gefahr hin, kitschig zu klingen: Genau das macht im Endeffekt Weihnachten aus. Es ist nicht der jährliche AAA-Titel, der aktuellste Steam-Sale oder die neueste Konsolengeneration – sie alle sind nur Mittel zum Zweck, um der über alle Belange ausufernden Kommerzialisierung der besinnlichen Zeit einen hoffentlich tieferen Sinn zu geben, nämlich seine Nächsten zu lieben, sie in ihren Aktionen zu schätzen und ihnen dankbar zu sein für kleine und grosse Momente im Leben.

In diesem Sinne ein frohes Fest mit vielen schönen Geschichten – und mögen sie hoffentlich mit Games im Kontext stehen.

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