Brasiliens Fussballfest neigt sich dem Ende zu und unsere Augen kleben nicht mehr am Bildschirm sondern schweifen wieder über Zürich-West. So unterschiedlich die Nationalmannschaften sind, so unterschiedlich ist auch die Architektur im Kreis 5. Ein Vergleich.
Das Hardturm-Stadion ist wie Spanien
Die Analogie könnte nicht besser sein. Früher war der Hardturm ein Juwel der Stadt. Ein legendärer Ort, an dem Fussball zelebriert wurde. Er war Heimat eines stets in den Toprängen agierenden Clubs. Doch der Zenit ist längst überschritten. Was vom Hardturm übrig ist, gleicht der spanischen Furia Roja. Mittlerweile ist aus dem glorreichen Stadion nur noch ein Häufchen Schutt übrig. Den iberischen Welt- und doppelten Europameistern erging es ähnlich. Über Jahre hinweg waren sie das Nonplusultra, an der jetzigen Meisterschaft war von ihnen nur Klägliches zu sehen. Auch ein weiterer Faktor wiederspiegelt sich im Hardturm. Er wurde aus Altersgründen dem Erdboden gleichgemacht – während Legenden wie Casillas oder Xavi ausgemustert werden oder es bereits sind.
Das Viadukt ist wie Nigeria
Nigeria wäre eigentlich eine gute Fussballmannschaft. Wären nicht ständig die Interventionen des Staates. Immer wieder gibt es Ärger zwischen dem Verband, der Fifa und der Regierung. Es kam teilweise soweit, dass 1996 der damalige Militärdiktator Sani Abache eigenmächtig den Rückzug von der Afrikameisterschaft beschloss. Das Potenzial wäre sicher da, in Afrika ist Nigeria ohne Zweifel eine der besten Mannschaften. Wer das Viadukt im Kreis 5 anschaut, entdeckt ebenfalls viele, kleine Superstars. Die Bögen sind voll von aufstrebenden Talenten. Sie haben sich eingenistet, sind individuell und irgendwie auch ein Team – und obendrüber rollt der Staat. Nicht ganz so prekär wie beim nigerianischen Fussballbund, doch das Sinnbild passt.
Der Prime Tower ist wie Brasilien
Der grosse Gastgeber, Rekordweltmeister, Hoffnungsträger. Auf den Schultern der Seleção lastet das Gewicht einer ganzen Nation. Sie sind die besten und die grössten. Der Titelgewinn ist das Mindeste, was von ihnen verlangt wird. Eigentlich ein guter Vorsatz, mit Superlativen sollte man jedoch vorsichtig sein. Der Prime Tower ist ebenfalls der grösste. Zumindest war das bis vor kurzem so, der Roche Tower in Basel wird ihn ablösen. Zwar wurde Brasilien nicht von einem Erzrivalen weggefegt, aber die 7:1-Schmach gegen Deutschland im Halbfinale war ein eindeutiger Wachmacher, dass Brasilien halt doch nicht die besten Mannschaft ist. Aber Schwamm drüber, der Gastgeber ist trotzdem eine grandiose Gruppe. Die Fans mögen sie, es macht Spass, ihnen zuzuschauen. Auch der Prime Tower ist nett anzusehen. Doch ähnlich wie bei Neymar, Luiz und co bröckelt es auch im Turm beim Bahnhof Hardbrücke manchmal an der Fassade.
Der Mobimo Tower ist wie die Niederlande
Der niederländische Fussball hat eine lange Tradition. Johan Cruyff war einer der besten Spieler, den Europa je hervorgebracht hat, die Nachwuchsschule von Ajax ist legendär und ein moderner Spieler wie Robben gehört zu den weltbesten. Erstaunlicherweise konnte die niederländische Nationalmannschaft, die Elftal, noch nie eine WM für sich entscheiden. Sie sind die ewigen Zweiten. Der Mobimo Tower hat einen ähnlichen Standpunkt. Eine stattliche Grösse hat er, hübsch anzusehen ist er eigentlich auch und er steht in einem geschichtsträchtigen Gebiet. Dennoch ist er permanent im Schatten anderer. Zudem geht auch er ziemlich leer aus, vor allem im Hinblick auf verkaufte Wohnungen. An der WM schafften es die Niederlande bis in den Halbfinal, womit eigentlich niemand so richtig gerechnet hatte. Dann war aber Schluss, der Titel bleibt ihnen weiterhin verwehrt.
Das Löwenbräu-Areal ist wie Italien
Die moderne Architektur beim Löwenbräu-Areal wird als Kobra definiert. Eine giftige Schlange, fast wie Balotelli. Wir erinnern uns an die legendäre Pose des Enfant Terrible, als er an der letzten EM gegen Deutschland ein Tor schoss. Oben ohne stand er in Bodybuilder-Pose da. Somit passt auch die weitere Beschreibung des Löwenbräu-Hochhauses auf ihn: «Ein schwarzer, eleganter Bau.» Ausserdem erhebt sich das Gebäude über den alten Kern des Areals. Ähnlich wie bei der Azzurri, dort sind auch einige ältere Semester mit am Start. Die geschichtsträchtige Brauerei hat aber noch immer ihren Charme, so wie es die Altmeister Pirlo oder Buffon ebenfalls noch haben. Im Löwenbräu gibt es viel Kunst zu bestaunen. Das moderne Zeug ist nicht immer verständlich, genauso wie der Auftritt der Italiener an der diesjährigen WM. Nach der Vorrunde war die Mannschaft bereits wieder auf der Heimreise.
Die Hardbrücke ist wie Deutschland
Mitten über die Hauptschlagader des Quartiers, der Hardstrasse, wälzt sie sich und verbindet das pulsierende Herz rund um den Bahnhof mit dem Rest der Stadt. Die Rede ist von der Hardbrücke. Mächtig thront sie über
dem Quartier, für viele ist sie eines der wichtigsten Verkehrselemente, vielen ist sie aber auch ein Dorn im Auge. Ganz ähnlich wie die Nationalelf. Jogis Trupp ist, seit es Fussball gibt, ein wichtiger Grundpfeiler des Sports. Seit Jahrzehnten ist die Mannschaft ein ernstzunehmender Gegner und stetiger Anwärter auf den Titel. In der Geschichte der Weltmeisterschaft konnte man bereits drei goldene Pokale einheimsen, der Tiefpunkt war 1938, als man im Achtelfinale ausschied. In Brasilien glänzte Deutschland zwar lediglich gegen den Gastgeber und vielleicht gegen das enttäuschende Portugal, trotzdem stehen sie im Finale. Die Hardbrücke glänzt auch nicht unbedingt. Sie ist ein praktischer Betonklotz, aber sie ist effizient. Die deutsche Elf geniesst hierzulande nicht viel Sympathie, warum auch immer. Die Hardbrücke zieht gleich, auch sie ist nicht unbedingt ein Hingucker. Die Überquerung der Brücke ist nach dem Umbau übrigens wohl auch mit Wohnwagen einfacher geworden. Ähnlich wie die niederländisch-deutsche Fussballrivalität, die nach hässlichen Szenen in der Vergangenheit mittlerweile ziemlich gesänftigt daherkommt.
Die Langstrasse ist wie die Schweiz
Mehr Nationalitäten auf einem Fleck gehen fast nicht. So Multikulturell wie die Langstrasse ist auch die Schweizer Nationalmannschaft. Migrationshintergrund ist zwar ein furchtbar bürokratisch angehauchter Begriff, dennoch bringt die Diversität Schwung und Frische in unsere Nati. Das gleiche Rezept funktioniert auch an der Langstrasse – ein kunterbuntes Treiben, das im Endeffekt unser Landesbild weit mehr repräsentiert als all die Bankenplätze und Berghütten zusammen. Die Langstrasse hat jedoch nicht immer gute Zeiten hinter sich. Die Schweizer Nati hatte ähnliche Probleme. 1994 war nach 28 Jahren die erste Qualifikation für eine WM- Endrunde. Seither läuft es mehr oder weniger gut, obwohl man meistens im Achtelfinal hängen bleibt. In der Bevölkerung schwankt die Stimmung ebenfalls. Die Langstrasse ist zum einen ein gemiedener, verruchter Ort, zum anderen eine hochgelobte Partymeile, die es in sich hat – fast wie unsere Mannschaft. Spielen wir einen solchen Stiefel zusammen wie gegen Frankreich, gibt’s einen hässlichen Fingerzeig; spielen (und verlieren) wir grandios gegen Argentinien, gibt es Lob in höchsten Tönen.
Der Schiffbau ist wie England
England ist der Urvater des Fussballs. Einmal wurden sie Weltmeister. Das war 1966 im eigenen Land. Viele Geschichten gibt es um die Mannschaft, so zum Beispiel das sagenumwobene Wembley-Tor, das zum Meistertitel führte oder die Hand Gottes von Diego Maradona, dessen dubioses Tor 1986 in Mexiko das Aus für England markierte. Geschichten, das gibt es auch im Schiffbau. ein Urvater ist die ehemalige Fertigungshalle ebenfalls, zumindest was den Quartiergeist anbelangt. England hat in letzter Zeit – seit 1970, um präzise zu sein – im WM-Zirkus nicht mehr viel auf die Reihe bekommen. Wenn es um ihre Three Lions geht, machen die Engländer dennoch gerne ein riesen Theater – so wie der Schiffbau.