Ein guter, echter und schöner Mord
Das Theaterstück Woyzeck im Schiffbau


Woyzeck gehört zu den einflussreichsten und meistgespielten Dramen. Es inspirierte zahlreiche Künstler und hat auch über hundert Jahre nach seiner Erstaufführung seinen Reiz nicht verloren. Im Schiffbau ist momentan eine neue Interpretation des Werkes zu sehen.

Georg Büchners Dramenfragment «Woyzeck» ist ein Klassiker des Theaters. Das Stück beruht auf dem historischen Vorbild Johann Christian Woyzeck, der 1780 in Leipzig aus Eifersucht und im Wahn die Witwe Christiane Woost. Nach mehreren Gutachten über seine Zurechnungsfähigkeit wurde Woyzeck letzten Endes hingerichtet. Fasziniert von diesem Fall schrieb Büchner die Geschichte nieder. Fertig brachte er sie nie, er starb früh an Typhus. Die letzten Seiten seines Manuskripts verfasst er im Fieberwahn, dem Tode nah. Genau diese Umstände machen das Stück um Woyzeck so schauerhaft und dramatisch.

Die Uraufführung war 1913 in München. Im Schiffbau läuft momentan eine moderne Version von Stefan Pucher, der seit 1989 erfolgreich als Regisseur tätig ist und bereits namhafte Preise – unter anderem für seine Interpretation von Othello – einheimsen konnte. Dass Pucher ein gewieftes Händchen hat und sein Fach versteht, zeigt er dem Publikum auch mit seinem Woyzeck.

Allein der Schiffbau an und für sich ist als Ort für eine Geschichte wie Woyzeck bestens geeignet. Die kahlen Betonmauern und das kühle Ambiente wirken fast schon bedrohlich und untermauern den erdrückenden Grundton hinter Woyzecks tragischem Sein. Zu den Plätzen gelangt das Publikum durch ein Metallgitter. Eine schöne Metapher. Man betritt quasi ein in sich geschlossenes Universum, hinter stählernem Maschendraht, sinnbildlich für die Ausgrenzung – als ob man Woyzecks Verstand betreten würde.

Als nächstes fällt das Bühnenbild auf. Es ist grosszügig in die Breite gezogen. Auf verschieden hohen Plateaus spielt sich das gesamte Stück ab. Die vielen Szenerien verlieren sich in kleinsten Details und sind ansehnlich ausgearbeitet. Es erlaubt den Schauspielern einen dynamischen Fluss von links nach rechts und wieder zurück. Nebst klassischen Bühnenelementen wird beim Stück auch viel mit digitaler Technik gearbeitet. Livebilder von Kameras oder Aufzeichnungen flimmern über die Wände. Sie werden dabei nicht einfach nur als Stilmittel eingesetzt, sondern treiben teilweise die Story explizit voran.

Das Stück selber beginnt seltsam. Wer Woyzeck kennt und gelesen hat oder eine der vielen Theater-Varianten gesehen hat, weiss, dass die ursprüngliche Vorlage bereits konzeptuell viel Interpretationsraum lässt und dieser auch in den unterschiedlichsten Abweichungen umgesetzt wurde. Zu Beginn hören wir eine Ode an Zürich, gesungen von Woyzeck und Andres. Gleich danach tritt der Tambourmajor auf den Platz, ebenfalls begleitet von Musik. Das ist ganz schön schräg, weil es nicht erwartet wird.

Sowieso ist das Bühnenstück stark von Musik begleitet. Das Schöne dabei: Auf der Bühne steht eine Band, die zum einen live spielt und zum anderen fixer Teil der Geschichte ist. Manchmal entwickelt sich das Ensemble zu einer wahren Rockband oder drückt mit Balladen auf die Stimmung. Am Anfang nervt das, aber mit der Zeit fügen sich die Songs immer mehr ins Geflecht der Ereignisse. Ein harmonisches Bild entsteht.

Auch die strube Einführung wird zusehends angenehmer. Besonders für Theaterlaien ist das ernüchternd. Natürlich strotzt Woyzeck vor Metaphern und Analogien, dennoch bietet die Version von Pucher einen lockeren Zugang. Die knapp zwei Stunden vergehen wie im Flug.

Die schauspielerische Leistung ist vom gesamten Ensemble beachtlich. Insbesondere Jirka Zett in der Hauptrolle zeigt eine fantastische Hingabe zu seinem Charakter. Es ist fast schon beängstigend, wie authentisch er den psychologischen Zerfall von Woyzeck spielt. Die anderen wichtigen Rollen – der Doktor, der Hauptmann, Marie und der Tambourmajor – stehen ihm in nichts nach.

Woyzeck wurde schon so oft durchgekaut, dass frischer Wind nicht immer gut ankommt. Puchers Werk jedoch bietet gute Unterhaltung, tiefgründige Phasen und äusserst kreative Elemente. Wer sich das Stück ansehen möchte, muss sich allerdings beeilen – es geht am 22.4. und 23.4. zum letzten Mal über die Bühne.

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